Hintergrund

Aktuellen Zahlen zufolge leben ca. 1,7 Mio. Menschen mit Demenz (MmD) in Deutschland [1]. Infolge des demografischen Wandels wird es zu einem überproportionalen Anteil der Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung und deshalb zum Anstieg altersassoziierter Erkrankungen, wie der Demenz, kommen [1, 2]. Jährlich treten ca. 300.000 neue Demenzerkrankungen auf. Bleiben präventive und medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten weiterhin aus, wird sich Schätzungen zufolge die Zahl der MmD bis zum Jahr 2060 auf 3,3 Mio. MmD verdoppeln. Die Demenz trifft dabei, aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung, in etwa zwei Drittel der Fälle Frauen. Häufigste Ursache der Erkrankung ist die Alzheimerdemenz [1].

Die Versorgung dieser wachsenden Patientengruppe stellt das Gesundheitssystem sowie die Familien der Betroffenen vor Herausforderungen. Aus der Perspektive der Versorgung liegt die Herausforderung in einer sektorenübergreifenden Zusammenführung adäquater medizinischer, pflegerischer, psychosozialer, medikamentöser und nichtmedikamentöser Leistungen sowie sozialer Unterstützungsangebote [3, 4]. Diese Versorgungsleistungen sind wichtig, um den Komplikationen der Erkrankung entgegenzuwirken, ihre Progression zu verlangsamen und den Betroffenen so lange wie möglich ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben bei hoher Lebensqualität und sozialer Teilhabe in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen.

Die meisten MmD (ca. 75 %) leben in der eigenen Häuslichkeit und werden von ihrem Ehepartner oder aber den Kindern bzw. Schwiegerkindern betreut und gepflegt, was viel Engagement und Verzicht auf Freizeit verlangt [2]. Pflegende Angehörige stellen daher eine wichtige Säule in der Versorgung dar. Probleme in der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, Arbeitszeitreduzierung oder die frühzeitige Aufgabe der Berufstätigkeit sind häufige Folgen der hohen zeitlichen Beanspruchungen und körperlichen und psychischen Belastungen dieser sogenannten informellen Pflege [5, 6].

Die stetig steigenden Patientenzahlen stellen ebenfalls eine ökonomische Herausforderung dar. Das Statistische Bundesamt bezifferte die Kosten der Demenz im Jahr 2015 auf 15 Mrd. €. Dies entspricht einem Anteil von 9 % an den Gesundheitsausgaben für die Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter. Im Vergleich zu den gesamten Gesundheitsausgaben, welche zwischen 2002 und 2015 um 51 % gestiegen sind, zeigte sich ein überproportionaler Anstieg von 89 % bei den Krankheitskosten der Demenz, welche schon heute eine der teuersten Erkrankungen unserer Gesellschaft ist und durch das Voranschreiten des demografischen Wandels auch in der Zukunft sein wird [7].

Die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, welche auf Abrechnungsdaten der Kostenträger, den „Sekundärdaten“, beruhen, sind jedoch unvollständig. Die von den Familien geleisteten unbezahlten Unterstützungs- und Pflegeleistungen finden keine Berücksichtigung. Darüber hinaus konnten Studien aufzeigen, dass lediglich 40 % der MmD erkannt werden und eine formale Demenzdiagnose erhalten [8]. Der Großteil der MmD bleibt somit unerkannt und damit unberücksichtigt. Daher sind die Kostenschätzungen auf Basis von Sekundärdaten nur eingeschränkt repräsentativ.

Verschiedene Studien haben unter der Nutzung von Primärdaten versucht, diesen Herausforderungen gerecht zu werden [5, 9,10,11,12,13,14,15,16,17]. Während sich diese Studien meist auf kognitiv eingeschränkte Menschen und damit nicht ausschließlich auf Menschen mit einer Demenzdiagnose beziehen und auch den informellen Pflegeaufwand der Angehörigen und deren Verdienstausfälle aufgrund der Pflege monetär bewerten, zeigten sich vielfach Unsicherheiten in der Erfassung der Inanspruchnahme von Gesundheits- und Pflegeleistungen. Diese werden direkt über die Patienten oder die pflegenden Angehörigen erfragt. Es ist daher möglich, dass sich Probanden nicht genau an die in Anspruch genommenen Leistungen erinnern können und diesbezüglich unvollständige oder sogar falsche Angaben machen („Erinnerungsbias“). Weitere Probleme ergeben sich bei der Kostenberechnung, die unter der Nutzung von standardisierten Bewertungssätzen erfolgt. Abweichungen von den tatsächlich abgerechneten Leistungen können erheblich sein.

Ziel dieser Arbeit war es daher, sämtliche bislang in Deutschland veröffentlichten Primär- und Sekundärdatenanalysen zur Inanspruchnahme von Gesundheits‑, Pflege- und sonstigen Unterstützungsleistungen von MmD durch eine systematische Literaturrecherche zusammenzufassen. Die Daten zur Inanspruchnahme sollten in einer Metaanalyse aggregiert werden, um die Krankheitskosten von MmD zu bestimmen. Diese Kosten sollten mit den Kosten gleichaltriger Menschen ohne eine Demenz verglichen werden, um die Zusatzkosten der Demenz zu ermitteln. Unter Nutzung der Bevölkerungsvorausberechnung sollten zudem auch die aktuellen zukünftigen Gesamtkosten der Demenz und deren Anteil an den Ausgaben der über 65-jährigen Bevölkerung ermittelt werden.

Methode

Suchstrategie

Zur Identifikation aller für die Analyse relevanten Artikel zur Inanspruchnahme von Leistungen bei Demenz oder Krankheitskosten von MmD wurde eine systematische Literaturrecherche auf PubMed und Springer Link im Dezember 2018 durchgeführt. Die Suchstrategie ist im Online-Zusatzmaterial dargestellt. Die genutzten Suchbegriffe waren „Alzheimer“ und „Dementia“. Der Begriff „Dementia“ wurde verwendet, um alle Formen der Demenz, wie die vaskuläre oder die frontotemporale Demenz, neben der Alzheimererkrankung mit einzuschließen. Beide Begriffe wurden über „Und-“ bzw. „Oder-“Verknüpfungen mit den Begriffen „Resource Utilization“ („Inanspruchnahme“) und „Cost“ („Kosten“) in Verbindung gebracht. Bei den Begrifflichkeiten wurde auf Unterschiede in der britischen und amerikanischen Schreibweise geachtet. Die Suche inkludierte Studien in englischer und deutscher Sprache. Einschlägige Studien mussten in Deutschland durchgeführt worden sein oder Daten aus Deutschland beinhalten sowie in den letzten zehn Jahren (30.11.2009–01.12.2019) publiziert worden sein.

Selektion der Literatur

Artikel wurden in die Analyse einbezogen, wenn sie a) Angaben zur Inanspruchnahme von medizinischen, pflegerischen und nichtmedizinischen Leistungen oder aber zur informellen Pflege und den Produktivitätsverlusten (Reduktion der Arbeitszeit, frühzeitige Aufgabe der Arbeit) pflegender Angehöriger oder b) Krankheitskosten sowie die Möglichkeit zur Ermittlung der Daten zur Inanspruchnahme aus diesen Kosten, z. B. über standardisierte Bewertungssätze, beinhalteten. Studien, die die Zusatzkosten der Demenz über einen Vergleich mit gleichaltrigen Menschen ohne eine Demenz ermittelt haben, wurden ebenfalls über die oben genannte Suchstrategie gefunden und eingeschlossen.

Studien, welche keine Daten aus Deutschland beinhalteten sowie keine Möglichkeit der Ermittlung der Inanspruchnahme von Leistungen ermöglichten, wurden ausgeschlossen. Aufgrund dessen, dass sich das Inanspruchnahmeverhalten von zu Hause und im Heim lebenden MmD stark unterscheidet und eine Berechnung der gesamten Krankheitskosten der Demenz nur über eine separierte Berechnung der Kosten der beiden Wohnsituationen möglich ist, wurden zudem Studien ausgeschlossen, die keine klare Trennung zwischen zu Hause lebenden und im Heim lebenden MmD auswiesen.

Extraktion der Daten

Die Daten zur Inanspruchnahme von folgenden Leistungen wurden extrahiert: Ambulante ärztliche Versorgung, Krankenhaus und Rehabilitation, Antidementiva und sonstige Medikamente, Heilmittel, Hilfsmittel, ambulante, teilstationäre und vollstationäre Pflege, informelle Pflege und Produktivitätsverluste. Transportkosten und Kosten für den Menübringdienst wurden aufgrund von nur sehr wenigen Daten nicht berücksichtigt. Zur Darstellung der Inanspruchnahme wurden die Studien selektiert und den unterschiedlichen Wohnsituationen (zu Hause lebend vs. im Heim lebend) sowie der Exposition (MmD vs. Menschen ohne Demenz) zugeordnet. Der Einbezug von Stichproben gleichaltriger Menschen ohne eine Demenz ermöglichte einen Rückschluss auf die Zusatzkosten der Demenz, die sich lediglich aufgrund des Vorhandenseins dieser Erkrankung ergeben. Eine Übersicht über die jeweiligen genutzten Ressourcen und die Art und Weise der Extraktion ist in der Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Standardisierte Bewertungssätze für die Berechnung der jährlichen Pro-Kopf-Kosten für Menschen mit Demenz (MmD)

Neben den Daten zur Inanspruchnahme wurden auch studien- und patientenbezogene Basisdaten extrahiert. Zur Charakteristik der Patienten wurden neben dem Alter und dem Geschlecht auch die Lebenssituation (alleine vs. nicht alleine lebend), die Art und Weise der Erkennung der Demenz (Diagnose, kognitive Einschränkungen etc.) sowie der Demenzschweregrad unter Nutzung des Mini-Mental Status Test (MMST) erfasst [18]. Zu den studienbezogenen Daten gehörten das Jahr der Publikation, der Studienname, die Stichprobengröße, die Natur der Daten (sekundär vs. primär), der Erhebungszeitraum, der Zeithorizont der Datenabfrage (Zeitraum, in dem die angegebenen Ressourcen genutzt wurden) sowie die Perspektive (Kostenträger vs. Gesellschaft). Während die Perspektive der Kostenträger sämtliche direkte medizinische und nichtmedizinische Leistungen und deren Kosten beinhaltet, welche durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen getragen werden, inkludiert die gesamtgesellschaftliche Perspektive zusätzlich auch die von den Angehörigen geleistete informelle Pflege sowie die Produktivitätsverluste pflegender Angehöriger.

Metaanalyse

Die Metaanalyse wurde auf Grundlage der Vorgaben der PRISMA-Empfehlungen (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) durchgeführt [19]. Die durchschnittliche Inanspruchnahme (IØ) wurde separiert für die jeweiligen Wohnsituationen sowie die Exposition für jede einzelne Leistungsart (j) unter Nutzung der Stichprobengröße der jeweiligen Studien (ni) als relatives Gewicht berechnet. Alle verfügbaren Inanspruchnahmedaten (Iij) wurden mit der jeweiligen Stichprobengröße (ni) multipliziert und durch die aufsummierte Gesamtstichprobengröße (∑ni) dividiert. Je höher die Stichprobe einer Studie, desto höher die Gewichtung. Die Berechnung der gewichteten Inanspruchnahme unterschiedlicher Leistungen ist in der nachfolgenden Formel dargestellt.

$$I^{\varnothing} = \frac{\sum_{i=0}^{n} I_{ij} \ast{} n_{i} }{ \sum_{i=0}^{n} n_{i}}$$
I Ø :

Gewichtete Inanspruchnahme

I ij :

In der Studie i jeweils ausgewiesene Inanspruchnahme der Leistung j

n i :

Stichprobengröße der Studie i

Kostenberechnung

Unter der Nutzung standardisierter Bewertungsansätze [20] konnten die jährlichen Pro-Kopf-Kosten der MmD sowie der gleichaltrigen Menschen ohne Demenz ermittelt werden. Die Kosten wurden aus der Kostenträgerperspektive sowie der gesamtgesellschaftlichen Perspektive zusammengefasst.

Die Kosten für die informelle Pflege wurden nach dem Substitutionskostenansatz unter der Annahme berechnet, dass die Pflege von einer professionellen Pflegefachkraft durchgeführt wurde, mit einem Bruttostundenlohn zzgl. Nebenkosten eines in der Pflege arbeitenden Arbeitnehmers von 22,69 €. Dabei wurde lediglich der Zeitaufwand für die Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) sowie für die instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) berücksichtigt. Produktivitätsverluste pflegender Angehöriger wurden über die Opportunitätskosten als entgangener Nutzen an Arbeitszeit unter Verwendung des durchschnittlichen Bruttostundenlohnes der Arbeitnehmer in Deutschland zzgl. Nebenkosten berechnet (26,35 € pro Stunde; [21]).

In einer Sensitivitätsanalyse wurde zur monetären Bewertung der informellen Pflege die informelle Pflegezeit, inklusive der benötigten Zeit für die Supervision des MmD, unter Verwendung der Opportunitätskosten für den entgangenen Nutzen an Freizeit herangezogen (Ø in Mitteleuropa: 11,83 € pro Stunde; [22]). Lagen die Bewertungssätze für das Jahr 2019 nicht vor, wurden die Sätze inflationiert. Die standardisierten Bewertungssätze sowie die Substitutions- und Opportunitätskosten sind in Tab. 1 dargestellt.

Die Gesamtkosten der MmD in Deutschland sind abhängig vom Verhältnis der im Heim bzw. in der Häuslichkeit lebenden Personen. Die Alzheimer Gesellschaft gab an, dass etwa ein Drittel der MmD in vollstationärer Pflege lebt [1]. Dem Statistischen Bundesamt zufolge leben 29 % der über 65-Jährigen in einem Pflegeheim [23]. Dieser Prozentsatz wurde genutzt, um die jährlichen Pro-Kopf-Kosten der MmD zu berechnen. Diese wurden im Anschluss den Kosten der nicht an Demenz erkrankten Vergleichspersonen gegenübergestellt, um die Zusatzkosten der Demenz zu ermitteln.

Vorausberechnung

Basierend auf der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes und der vorausberechneten Prävalenz der Demenz konnten die Kosten aller MmD im Vergleich zu den Kosten der gleichaltrigen Bevölkerung von heute und für die Zukunft vorausberechnet werden [23]. Aufgrund der Möglichkeit einer Doppelzählung der Kosten der Produktivitätsverluste aufgrund der informellen Pflege sowie der Kosten der informellen Pflege selbst wurden die Produktivitätsverluste nicht in der Gesamtkostenberechnung berücksichtigt. Die Vorausberechnung wurde inflationsbereinigt durchgeführt.

Ergebnisse

Studienselektion

Insgesamt wurden 392 Studien über die Suchstrategie gefunden, von denen 56 Studien in das Volltextscreening einbezogen wurden. Insgesamt konnten 15 Studien in die Analyse einbezogen werden [5, 9,10,11,12,13,14,15,16,17, 24,25,26,27,28]. Diese Studien beinhalteten 14 zu Hause lebende (n = 92.683) und vier im Heim lebende Stichproben (n = 11.297) sowie drei Stichproben gleichaltriger Menschen ohne eine Demenz (n = 28.468). Die Stichprobengröße variierte zwischen 48 und 61.713, wobei die Stichproben der Sekundärdatenstudien im Mittel deutlich größer waren (Mittelwert, m = 16.183) als die der Primärdatenstudien (m = 229).

Die zu Hause lebenden MmD waren im Mittel 81 Jahre alt, überwiegend weiblichen Geschlechts (71 %), in einem Drittel der Fälle allein lebend (34 %) und überwiegend moderat kognitiv eingeschränkt (MMST 19,2). Die im Heim lebenden Patienten waren im Vergleich älter (84 Jahre), häufiger weiblich (78 %) und schwerer kognitiv eingeschränkt (MMST 12,6). Gleichaltrige Menschen ohne eine Demenz waren etwa im gleichen Alter wie die in der Häuslichkeit lebenden MmD (80 Jahre) und ebenfalls überwiegend Frauen (66 %). Die Beschreibungen der Studien sowie die darin jeweils untersuchten Populationen sind in der Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Übersicht über die eingeschlossenen Studien sowie deren studien- und patientenbezogene Charakteristik, selektiert nach Wohnsituation und Exposition (Menschen mit vs. ohne Demenz)

Inanspruchnahme von Leistungen

Die in der systematischen Übersichtsarbeit gefundenen Daten zur Inanspruchnahme von medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen von MmD sowie die in der Metaanalyse aggregierten Daten der Inanspruchnahme sind in Tab. 3 dargestellt. Sie zeigen auf, dass die im Heim lebenden MmD häufiger als die in der eigenen Häuslichkeit lebenden MmD ambulant ärztlich versorgt wurden (67 vs. 40 Arztkontakte pro Jahr), im Durchschnitt mehr Medikamente einnahmen (9,6 vs. 8,4), häufiger nichtmedikamentöse Therapien erhielten (10,2 Besuche pro Jahr vs. 6,9) sowie über mehr Hilfsmittel verfügten (5,3 vs. 1,9). In der eigenen Häuslichkeit lebende MmD wurden häufiger mit Antidementiva versorgt (23 % vs. 19 %). Bezüglich der verbrachten Tage im Krankenhaus gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (beide durchschnittlich 6,3 Tage).

Tab. 3 Inanspruchnahme von Versorgungs- und Unterstützungsleistungen in unterschiedlichen Studien sowie über die Metaanalyse zusammengefasste Inanspruchnahme pro Jahr

Während die im Heim lebenden MmD ganzjährig vollstationär gepflegt wurden, nahmen die zu Hause lebenden MmD häufiger ambulante Pflege (durchschnittlich 117 Besuche pro Jahr) sowie teilstationäre Pflege (durchschnittlich 21 Besuche pro Jahr) in Anspruch. Im Mittel wurden MmD in der Häuslichkeit 41 h pro Woche gepflegt. Im Pflegeheim wurden MmD lediglich zwei Stunden pro Woche informell gepflegt.

Gleichaltrige Menschen ohne Demenz nahmen deutlich weniger medizinische und pflegerische Leistungen sowie informelle Pflege in Anspruch.

Krankheitskosten und Zusatzkosten der Demenz pro Kopf und Jahr

Die vollstationäre Wohnsituation war aufgrund der ganzjährigen Pflege sowie einer höheren Inanspruchnahme von medizinischen Versorgungsleistungen im Vergleich zu den in der eigenen Häuslichkeit lebenden MmD mit höheren Kosten aus der Perspektive der Kostenträger verbunden (43.670 € vs. 13.719 €). Jedoch waren die gesamtgesellschaftlichen Kosten aufgrund einer sehr geringen Inanspruchnahme von informeller Pflege insgesamt geringer (45.911 € vs. 46.733 €).

Unabhängig von der Wohnsituation lagen die durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Kosten der MmD bei 20.658 € aus der Perspektive der Kostenträger sowie 44.659 € aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Im Vergleich zu den Kosten der Vergleichspersonen ohne Demenzerkrankung (9453 € bzw. 11.471 €) ergaben sich jährliche Zusatzkosten der Demenz von 11.205 € für die Kostenträger sowie 33.188 € für die Gesellschaft. Die jährlichen Krankheitskosten sind in der Tab. 4 dargestellt.

Tab. 4 Auf Basis der Metaanalyse errechnete Krankheitskosten von Menschen mit Demenz pro Kopf und Jahr im Vergleich zu gleichaltrigen Menschen ohne eine Demenz sowie daraus resultierende Zusatzkosten der Demenz

Gesamtkosten der Demenz in Deutschland – heute und in Zukunft

Unter Nutzung der in dieser Analyse ermittelten Kosten ergaben sich für die Population der über 65-Jährigen im Jahr 2016 Gesamtkosten von 165 Mrd. € für die Kostenträger, von denen 34 Mrd. € den MmD zugeordnet sind. Die Zusatzkosten der Demenz beliefen sich auf 18 Mrd. €. Dies entspricht einem Anteil von 11 % an den gesamten Kosten der über 65-Jährigen. Bis zum Jahr 2060 verdoppeln sich die Kosten der Bevölkerung im Alter von 65 und älter auf 331 Mrd. €. Die Kosten der MmD verdreifachen sich hingegen auf 90 Mrd. €. Im Jahr 2060 erreichen die Zusatzkosten der Demenz aus Sicht der Kostenträger mit 49 Mrd. € einen Anteil von 15 % an den Gesundheitsausgaben der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen.

Die gesamtgesellschaftlichen Kosten der über 65-Jährigen beliefen sich im Jahr 2016 auf 201 Mrd. € und werden im Jahr 2060 auf 403 Mrd. € ansteigen. Alleine 73 Mrd. € (36 %) bzw. 195 Mrd. € (48 %) von diesen Kosten können den MmD zugeordnet werden. Werden lediglich die Zusatzkosten durch die Demenz betrachtet, zeigt sich, dass sich der Anteil dieser an den Gesamtkosten der über 65-Jährigen von 27 % (54 Mrd. €) im Jahr 2016 auf bis zu 36 % (145 Mrd. €) im Jahr 2060 erhöhen werden. Eine Übersicht über die vorausberechneten Kosten ist in der Tab. 5 sowie in der Abb. 1 zu finden. Die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse sind im Online-Zusatzmaterial (Tab. Z1, Tab. Z2 und Abb. Z1) dargestellt.

Tab. 5 Geschätzte Gesamtkosten der Versorgung und Unterstützung von Menschen mit Demenz im Vergleich zu den Gesamtkosten der Menschen im Alter von 65+
Abb. 1
figure 1

Kosten von Menschen mit Demenz (MmD) und Zusatzkosten der Demenz (in Mrd. Euro) sowie deren Anteil an den Ausgaben der über 65-jährigen Bevölkerung (in Prozent) über die Zeit

Diskussion

Diese Metaanalyse und Kostenvorausberechnung konnte aufzeigen, dass die Demenzerkrankung mit erheblichen Herausforderungen für die Kostenträger sowie für die Gesellschaft verbunden ist. Die Gesamtkosten der MmD für das Jahr 2016 beliefen sich auf 34 Mrd. € für die Kostenträger, von denen 18 Mrd. € alleine der Demenzerkrankung (Zusatzkosten) zugschrieben werden können. Bis zum Jahr 2060 werden sich laut diesen Berechnungen die Kosten der Demenz verdreifachen, während sich die Kosten für alle über 65-Jährigen „lediglich“ verdoppeln.

Das Statistische Bundesamt schätzt die Gesundheitsausgaben der über 65-Jährigen für das Jahr 2015 auf insgesamt 168 Mrd. € [7]. Auf Grundlage der in dieser Metaanalyse eingeschlossenen Studien mit Stichproben von Vergleichspersonen ohne Demenzerkrankung sowie der genutzten standardisierten Bewertungssätze wurden für die Population der über 65-Jährigen vergleichbare und ähnlich hohe jährliche Gesamtkosten von 165 Mrd. € berechnet. Es scheint daher, dass die in dieser Analyse genutzte Methode zur Schätzung der Krankheitskosten relativ valide ist. Die exakt über die Sekundärdaten erfassten Angaben der Inanspruchnahme konnten eine relativ hohe Gewichtung durch die in der Regel große Stichprobengröße erhalten. Die eher ungenau erfassten Angaben in den Primärdaten erhielten hingegen aufgrund der in der Regel geringen Stichprobengrößen eine relativ geringe Gewichtung. Die Inanspruchnahme informeller Pflege sowie Produktivitätsverluste werden lediglich in Primärdatenanalysen erfasst, sodass die Gewichtung dieser Daten nicht von den größeren Stichproben der Sekundärdaten beeinflusst wurde und diese ergänzte. Dadurch konnten die Vorteile beider Datentypen in dieser Metaanalyse genutzt werden.

Die berechneten Zusatzkosten der Demenz von 18 Mrd. € lagen etwas über den vom Statistischen Bundesamt angegebenen Kosten der Demenz mit 15 Mrd. €. Grund der Abweichung könnte die Diagnoserate der MmD sein. Lediglich 40 % der MmD werden diagnostiziert, alle übrigen bleiben in Sekundärdatenanalysen auf Basis der Abrechnungsdaten der Krankenkassen unentdeckt [8]. Wenn jedoch mehr als die Hälfte der Patienten nicht berücksichtigt wurden, fällt die Abweichung der hier ermittelten Kosten von den Schätzungen des Statistischen Bundesamtes eher gering aus. Das mittlere Alter der untersuchten Gruppen in zwei der in dieser Analyse eingeschlossenen Sekundärdatenstudien lag über dem berechneten Durchschnittsalter aller eingeschlossenen Studien. Es ist daher möglich, dass im Versorgungssystem zwar weniger MmD erkannt werden und eine formale Diagnose erhalten, jedoch die, die erkannt werden, in ihrer Progression weiter fortgeschritten sind und durch den erhöhten Pflegebedarf auch höhere Kosten verursachen. Es liegt daher nahe, dass in den Sekundärdatenanalysen tendenziell in der Progression fortgeschrittenere und für das Versorgungssystem kostenintensivere MmD zu finden sind. Dies könnte der Grund dafür sein, dass die vom Statistischen Bundesamt berechneten Kosten lediglich um 17 % unter den hier berechneten Kosten liegen.

Auch wenn die tatsächlichen Kosten der Demenz weit über den bislang ausgewiesenen Kosten liegen, repräsentieren diese Kosten lediglich einen Bruchteil der gesamtgesellschaftlichen Belastung. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten der MmD beliefen sich im Jahr 2016 auf 73 Mrd. €. In Anbetracht des Fortschreitens des demografischen Wandels werden sich die Zusatzkosten der Demenz von derzeit 54 Mrd. € auf insgesamt 145 Mrd. € im Jahr 2060 erhöhen. Die Zusatzkosten der Demenz hätten demnach einen Anteil an den Gesamtkosten der über 65-Jährigen von 36 %, die Gesamtkosten der MmD mit 195 Mrd. € sogar einen Anteil von insgesamt 48 %. Die gesamtgesellschaftlichen Krankheitskosten der MmD würden daher nahezu die Hälfte der Kosten der hochbetagten Population repräsentieren, vor allem aufgrund der vielen von den Familien geleisteten Stunden an informeller Pflege.

Berücksichtigt werden muss jedoch, dass aktuelle Studien eine sinkende Erkrankungsrate aufgezeigt haben. Derby et al. [29] haben in einer Kohorte von 1348 US-Amerikanern aufzeigen können, dass die Erkrankungshäufigkeit pro 100 Personen bei den vor 1920 geborenen Menschen 5,1 betrug. Bei den Personen, welche nach 1929 geboren wurden, zeigte sich lediglich eine Erkrankungshäufigkeit von 0,23 pro 100 Personen. Die in dieser Analyse genutzte Vorausberechnung zu den Prävalenzen der Demenz bildete die Basis der Kostenschätzungen. Die Änderung in der Prävalenz würde sich jedoch natürlicherweise ebenfalls langfristig auf die Inzidenzrate der Demenz auswirken und damit auch die hier prognostizierten Kosten der Demenz stark reduzieren. Aufgrund der immer größer werdenden Population älterer Menschen wird sich die Anzahl an MmD jedoch auch trotz einer möglich sinkenden Prävalenz weiter erhöhen, was unweigerlich zu einem Anstieg der Kosten führen wird. Bewahrheitet sich die abnehmende Prävalenzrate, werden die hier prognostizierten Kosten bis zum Jahr 2060 geringer ausfallen.

Eine Analyse der gesamtgesellschaftlichen Kosten der Demenz in Europa zeigte, dass sich die Kosten der Demenz jeweils zur Hälfte auf das Gesundheitssystem und deren Träger sowie auf die Familien verteilen. In Deutschland sind die Kosten der medizinischen und pflegerischen Versorgung jedoch vergleichsweise gering. Lediglich Italien weist noch geringere Versorgungskosten für MmD aus [30]. Die eher auf den Familien liegende Last konnte in dieser Analyse bestätigt werden. Die jährlichen Pro-Kopf-Kosten, die von den Betroffenen und deren Angehörigen getragen werden, betrugen 25.573 € und waren damit 24 % höher als die Kosten der Kostenträger (20.659 €). Dabei bleibt jedoch anzumerken, dass die monetäre Bewertung der informellen Pflege auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfolgen kann und die Ergebnisse bei unterschiedlichen Bewertungssätzen in ihrer Höhe sehr stark variieren können [22]. Darüber hinaus besteht weiterer Spielraum im Einbezug der Beaufsichtigungszeit. Dies kann die Kostenschätzung, wie in der Sensitivitätsanalyse durch eine mögliche Abweichung von bis zu −13 % dargestellt, stark beeinflussen.

Aufgrund der geringen Geburtenraten, der hohen Scheidungsrate, des immer höher werdenden Anteils im Alter allein lebender Personen sowie des Wegzugs vieler Kinder wäre es möglich, dass in naher Zukunft prozentual immer weniger pflegende Angehörige für pflegebedürftige Personen zur Verfügung stehen werden. Verändert sich das Verhältnis von bislang überwiegend unbezahlter informeller und vergüteter formeller Pflege zuungunsten der formellen Pflege, würde dies die Kosten der Kostenträger erhöhen und damit die Grundlagen der Finanzierung der Pflegeversicherung, z. B. durch eine Anpassung der Beitragssätze, stark beeinträchtigen. Monetäre und nichtmonetäre Unterstützungs- und Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige sind daher unabdingbar, um den für die nächsten Jahre prognostizierten Kostenanstieg nicht noch weiter durch wachsende gesellschaftliche Veränderungen zu erhöhen.

Des Weiteren konnten Studien aufzeigen, dass nicht die kognitiven Einschränkungen der MmD mit höheren Kosten assoziiert waren, sondern sich diese vor allem aufgrund der körperlichen Einschränkungen und der damit einhergehenden Zunahme der Pflegebedürftigkeit erhöhen [5]. Dies wird deutlich bei der Betrachtung der in dieser Studie ausgewiesenen Zusatzkosten. Diese ergeben sich fast ausschließlich aufgrund einer höheren Inanspruchnahme von formeller und informeller Pflege. Bleiben präventive und medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten weiter aus, sind vor allem nichtmedikamentöse Therapien sowie Interventionen, die den Erhalt der körperlichen Fähigkeiten der Patienten fördern, von fundamentaler Bedeutung. Um den Betroffenen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu ermöglichen und den steigenden Kostendruck zu reduzieren, sind die Entwicklung effektiver Versorgungs- und medikamentöse sowie nichtmedikamentöse Therapieansätze sowie alternative Wohnformen von fundamentaler Bedeutung. Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Fortschritte in den nächsten Jahrzehnten gemacht werden können und ob – und falls Ja, in welchem Ausmaß – diese die Krankheitskosten der MmD reduzieren können.