Zusammenfassung
Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie ist das Interesse an telemedizinischen Versorgungsmöglichkeiten gewachsen. Diese betreffen einerseits den Bereich der Diagnostik, aber auch die Überwachung von Therapieverläufen und Rehabilitationsmaßnahmen.
Aufgrund der derzeitigen Ressourcenbeschränkungen sahen sich viele Orthopäden und Unfallchirurgen gezwungen, Videosprechstunden einzurichten, obwohl Standards für orthopädische Konsultationen bisher nur unzureichend entwickelt sind. Um die Effizienz der virtuellen Orthopädie zu maximieren, sollten die Patienten auf den virtuellen Besuch vorbereitet werden (Checkliste mit spezifischen Anweisungen zur Kamerapositionierung, Körperpositionierung, Einstellung und Kleidung, Prüfung der audiovisuellen Fähigkeiten). Klassische diagnostische Maßnahmen wie Anamnese, Inspektion und Beurteilung radiologischer Befunde sind in der Videosprechstunde möglich. Es entfällt jedoch die Möglichkeit der funktionellen Untersuchung (Stabilität des Kniegelenkes, Schultertests). Auch wenn erste wissenschaftliche Studien gezeigt haben, dass die telemedizinische Diagnostik der konventionellen Diagnostik nicht unterlegen ist, so fehlen doch validierte Untersuchungsprotokolle und Methoden. Die postoperative Überwachung von Rehabilitationsmaßnahmen kann z. B. durch den Einsatz von Sensoren erleichtert werden. Mit moderner Sensorik ist mittlerweile eine kostengünstige Erfassung der Gelenkbeweglichkeit und Gelenkstellung möglich und wird bereits im Bereich der Rehabilitation nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes eingesetzt. Auch hier ist sicher weitere Forschung notwendig, um diese Methoden zu validieren.
Wir glauben, dass die derzeitige Pandemie Chancen bietet, die Möglichkeiten der Telemedizin für die Orthopädie und Unfallchirurgie auszubauen, um sie auch in der Zukunft weiter zu nutzen (z. B. bei der Versorgung von Patienten aus dem Ausland oder in dünn besiedelten Gebieten sowie der Betreuung von Hochleistungs- und Profisportlern).
Abstract
With the outbreak of the COVID-19 pandemic, interest in telemedical care options has grown. Today’s telemedicine options relate not only to the area of diagnostics, but also to the monitoring of therapy courses and rehabilitation measures. Due to the current resource constraints, many orthopedic surgeons and trauma surgeons have been forced to set up video consultations, although standards for orthopedic video consultations have so far been insufficiently developed. In order to maximize the efficiency of virtual orthopedics, patients should be prepared for the virtual visit (checklist with specific instructions on camera positioning, body positioning, adjustment and clothing, testing of audiovisual skills). Classic diagnostic measures such as anamnesis, inspection and assessment of radiological findings are possible in the video consultation. One major disadvantage is, that there is no possibility for a functional examination (stability of the knee joint, shoulder tests). Although initial controlled scientific studies have shown that telemedical diagnostics are not inferior to conventional diagnostics, there are still no validated examination protocols and methods. Postoperative monitoring of rehabilitation measures can, for example, be made easier by the use of sensors. With modern sensors, inexpensive detection of joint mobility and joint position is now possible and is already used in the area of rehabilitation after reconstruction of the anterior cruciate ligament. Here too, further research is certainly necessary to validate these methods. We believe that the current pandemic offers opportunities to further expand the possibilities of telemedicine for orthopedics and trauma surgery in order to continue to use it in the future (e.g. in the care of patients from abroad or in sparsely populated areas, care of professional athletes).
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Einleitung
Die SARS-CoV-2(„Severe Acute Respiratory Syndrome Corona Virus 2“)-Pandemie hat die Orthopädie und Unfallchirurgie in vielen Ländern hart getroffen [28, 34]. Das neuartige Coronavirus hat zu einer weltweiten Pandemie geführt, die die Gesundheitssysteme einzelner Regionen an die Grenzen ihrer Kapazität geführt hat.
Um eine exponentielle Verbreitung von SARS-CoV‑2 zu verhindern, waren verschiedene Schutzmaßnahmen notwendig, die eine Tröpfcheninfektion, aber auch eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen verhindern. Zu den Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gehören die Abstandsregeln (1,5 m), die Kontaktbeschränkung und das Tragen von Masken [34]. Diese Maßnahmen beeinträchtigen den klinischen Alltag in der Orthopädie und Unfallchirurgie erheblich [28]. Gerade weil die Übertragung von SARS-CoV‑2 hauptsächlich über Tröpfchen erfolgt, hat sich das klinische Interesse an kontaktloser Diagnostik in den letzten Wochen verstärkt. Dabei treten insbesondere Methoden der Telemedizin in den Vordergrund, die bisher im dicht besiedelten Deutschland nur geringe Relevanz hatten (bis auf die klassische Beratung am Telefon) [16, 31, 36]. Bisher hatten diese Verfahren eher in dünn besiedelten Ländern wie Norwegen, Kanada oder Australien oder in der Militärmedizin eine Bedeutung [7,8,9, 35, 36]. Dabei werden Arzt-zu-Arzt- und Arzt-zu-Patient-Konsultationen unterschieden (Abb. 1). Im Rahmen der COVID-19-Krise besteht eher Interesse an Arzt-zu-Patient-Konsultationen, um die Kontaktsperren zu umgehen.
Technisch werden computergestützte Telemedizinanwendungen mit E‑Mail-Konversationen von Videokonferenzsystemen unterschieden. Für die Arzt-zu-Patient-Konsultation sind Videokonferenzsysteme vorteilhaft, da die klassische Anamnese durch die zusätzliche Bildübertragung um die Inspektion und einfache Untersuchungen ergänzt werden kann. Bei den Arzt-Patient-Konsultationen werden außerdem Anwendungen zur Primärdiagnostik von Anwendungen zur Überwachung von Therapieverfahren (z. B. postoperative Rehabilitation) unterschieden.
Obwohl einer virtuellen orthopädischen Untersuchung möglicherweise die wesentlichen Elemente der Palpation und die Möglichkeit dynamischer Tests fehlen, erfordert die aktuelle Situation, dass wir uns mit den verfügbaren telemedizinischen Ressourcen beschäftigen. Erste Verfahren zur inspektorischen Erfassung der Gelenkbeweglichkeit und Selbstpalpation des Gelenkes durch den Patienten liegen vor. Interessante neue Möglichkeiten zur virtuellen körperlichen Untersuchung eröffnen sich durch den Gebrauch mittlerweile kostengünstiger Sensoren. Diese eignen sich insbesondere für die Überwachung von Therapiemaßnahmen und der postoperativen Rehabilitation.
Die Chance dieser Krise liegt sicher auch darin, die Möglichkeiten der Telemedizin für die Orthopädie und Unfallchirurgie zu nutzen und weiter zu verbessern. In den Zeiten nach der Krise werden diese Verfahren sicher neue Möglichkeiten in der internationalen Patientenkommunikation eröffnen.
Mit diesem Übersichtsartikel möchten wir die heutigen Möglichkeiten und Grenzen der Telemedizin für die orthopädische Primärdiagnostik und Rehabilitationskontrolle vorstellen und diskutieren. Dabei soll dieses Thema einerseits unter praktischen Gesichtspunkten, andererseits aber auch unter wissenschaftlichen Aspekten beleuchtet werden.
Systeme für eine Videosprechstunde
Es werden verschiedene Systeme für die Durchführung von Videosprechstunden angeboten (Tab. 1). Die meisten Systeme erlauben eine „Online“-Terminvereinbarung und die Möglichkeit, dass sich Arzt und Patient im Rahmen der virtuellen Sprechstunde sehen (Abb. 2 und 3).
Es existieren Systeme, bei denen die Fremdbefunde (z. B. Radiologie) vorher direkt in das System hochgeladen werden können. Hier erscheint die Möglichkeit der Bildschirmteilung sinnvoll, da so radiologische Aufnahmen zusammen mit dem Patienten betrachtet werden können. Auch die Dokumentation der Konsultation (Arztbrief) kann in einigen Videosprechstundensystemen gespeichert werden.
Da in Krankenhäusern meist ein Krankenhausinformationssystem (KIS) oder in Praxen ein etabliertes Praxisprogramm existiert, kann es sinnvoll sein, hier zweigleisig zu verfahren (Abb. 2 und 3). Dabei werden abrechnungsrelevante Patienteninformationen, Checklisten und Radiologiebefunde vor der Konsultation in das KIS übertragen. Die Dokumentation der Inhalte der Konsultation (Arztbrief) erfolgt ebenfalls über das KIS und wird auch dort gespeichert.
Vorbereitung auf eine Videosprechstunde
Im Vorfeld ist es sinnvoll, dem Patienten eine Checkliste mit Hinweisen zur Durchführung der Konsultation zukommen zu lassen (Tab. 2). Darin sollten Hinweise zur Ausleuchtung und Kameraposition und Bekleidung gegeben werden. Eine kurze, möglichst eng anliegende Sporthose ist als Beinbekleidung vorteilhaft. Auch ein Anamnesefragebogen kann im Vorfeld übermittelt werden, um die Effektivität der Sprechstunde zu erhöhen (Tab. 3).
Von ärztlicher Seite sollte darauf geachtet werden, dass der Raum gut ausgeleuchtet ist und dass keine Gegenlichtsituation erzeugt wird (nicht mit dem Rücken zu einem Fenster oder einer Leuchte sitzen). Anatomische Modelle oder vorbereitete Bilder können als zusätzliche visuelle Hilfsmittel hilfreich sein (Abb. 3).
Virtuelle Knieuntersuchung
Den Hauptbestandteil der Videosprechstunde macht das Gespräch aus, das eine Rekapitulation und Vertiefung der anhand des Fragebogens erstellten Anamnese beinhaltet.
Die Möglichkeit der Videoübertragung erlaubt jedoch die Anamnese um gewisse Aspekte der Inspektion und körperlichen Untersuchung zu erweitern. Eine zentrale Bedeutung besitzt die Inspektion mit Beurteilung von Haut, Erythem, Erguss und muskulärer Atrophie. Hier kommt es auf eine gute Bildqualität an (cave Ausleuchtung, Gegenlicht).
Zur Eigenpalpation des Kniegelenkes zur Angabe von Schmerzpunkten eignet sich die Quadrantenmethode (Abb. 4). Dabei wird der Patient aufgefordert, die Patella mit einem Stift zu markieren. Schmerzen im medial-kaudalen und lateral-kaudalen Quadranten sprechen für Meniskussymptome oder eine das Kompartiment betreffende Gonarthrose. Schmerzen in den kranialen Quadranten sind eher dem Femoropatellargelenk zuzuordnen.
Auch die Beweglichkeit kann videoassistiert evaluiert werden. Diese kann im Stehen und Sitzen erfasst werden. Praktisch ist die Beurteilung im Sitzen. Dabei sollte der Patient aufgefordert werden, seitlich auf dem Stuhl sitzend das Knie voll zu strecken und anschließend voll zu beugen (Abb. 5). Dabei soll der Patient die Ferse in sitzender Position zum Körper ziehen (Abb. 5). Bei der Erfassung der Extension im Sitzen ist zu beachten, dass diese durch die flektierte Hüfte limitiert wird (Zug der gedehnten Beugemuskeln). Eine neutrale Extension (0°) kann im Sitzen ein Normalbefund sein. Im Stehen hingegen kann auch die Überstreckung erfasst werden, da in dieser Position die Beugemuskeln entspannt sind. Dabei wird der Patient aufgefordert, das Knie nach hinten zu drücken während der Fuß belastet bleibt, anschließend kann die aktive Flexion erfasst werden, indem der Patient den Fuß an das Gesäß führen soll (Abb. 6).
Ein webbasiertes Goniometer (Protractor; Ben Burlingham [32]), das mit den meisten Anwendungen kompatibel ist, kann sinnvoll sein ([12]; Abb. 5). Die Zuverlässigkeit von Bewegungsumfangsmessungen von Gelenken auf der Grundlage von Foto- und Videodokumentation konnte in mehreren Untersuchungen überzeugen [4, 12, 23, 38].
Ein möglicher Meniskustest ist der Thessaly-Test, bei dem der Patient auf dem betroffenen Bein steht und den Körper nach innen und außen dreht (Abb. 6). Als positiver Befund gelten Schmerzen und mechanische Missempfindungen über der Seite des betroffenen Meniskus [20].
Eine Möglichkeit der dynamischen Untersuchung sind einbeinige Kniebeugen [27]. Ein valgischer Kollaps kann in der einbeinigen Kniebeuge auf eine Dysbalance der Hüftabduktoren oder eine Fußdeformität (Pes planovalgus) hinweisen.
Webgestützte Rehabilitation
Telemedizinische Anwendungen sind jedoch nicht nur für Sprechstundenkonsultationen interessant. Auch die telemedizinische Steuerung und Überwachung von Rehabilitationsmaßnahmen besitzt angesichts der SARS-CoV-2-Pandemie auch in dicht besiedelten Ländern wie Deutschland Relevanz [5].
Dabei muss zwischen Systemen zur ärztlichen Überwachung von postoperativen Untersuchungsbefunden und Systemen zur Anleitung und Kontrolle von Rehabilitationsübungen unterschieden werden [13, 21, 22, 24]. Die webbasierte ärztliche Überwachung von postoperativen Untersuchungsbefunden wurde bisher in der Knie- und Hüftendoprothetik erfolgreich eingesetzt [21, 22]. Dabei wurden die Patienten via E‑Mail an Untersuchungstermine erinnert und aufgefordert, einen Fragebogen mit Gesundheitsfragen zu beantworten und evtl. erforderlich Röntgenbilder (lokal angefertigt) zuzuschicken. Bei Symptomfreiheit und fehlenden pathologischen Befunden auf den Röntgenbildern wird die weitere Untersuchung um ein Jahr verschoben. Bei Problemen wird der Patient aufgefordert, sich in der Klinik vorzustellen [21, 22].
Auch die Videokommunikation wurde bereits im Bereich der Rehabilitation nach Implantation einer Knieendoprothese zur Bewegungskorrektur und Anleitung erfolgreich eingesetzt (z. B. Kommunikation Physiotherapeut/Patient) [26]. Die wissenschaftliche Datenlage ist zu diesem Einsatzbereich jedoch noch überschaubar. Insbesondere mit Blick auf ökonomische Aspekte liegen hier aber sicher große Möglichkeiten für die Zukunft. Schließlich kann die Ausführung von Übungen mittels moderner Technologie relativ einfach überwacht und auch korrigiert werden.
In der Nachbehandlung nach Kreuzbandrekonstruktion ist die „home-based physiotherapy“ im Ausland mittlerweile etabliert [2, 17, 29, 30]. Ein deutschsprachiges „Home-based-physiotherapy“-Programm ist das „Genu-Move“-Programm [30]. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Anleitung zum eigenständigen Üben ohne telemedizinische Kontrollmöglichkeit. Eine webbasierte Version der „home-based physiotherapy“ bietet das sogenannte TRAK-ACL-System (https://spas.cs.cf.ac.uk/trakacl/). Dieses bietet ein individualisiertes Übungsprogramm mit Videos, Instruktionen, Gesundheitsinformationen und eine Kontaktoption mit der E‑Mail eines Physiotherapeuten für zusätzliche Unterstützung. Die klinischen Erfahrungen mit diesem System waren ermutigend [13]. Die Patienten berichteten, dass das TRAK-ACL, insbesondere die Videos, ihr Selbstvertrauen und ihre Motivation bei der Rehabilitation steigerten.
Sensorgestützte Diagnostik und Rehabilitation
Große Erwartungen werden auch an den Einsatz von Sensoren zur Überwachung von Bewegungen in der Rehabilitation gestellt. Mit Sensoren können Gelenkbewegungen zuverlässig erfasst und ausgewertet werden.
Heute sind leistungsfähige Sensoren so klein, dass sie lokal am Knie angebracht werden können und auf diese Weise Bewegungen registrieren. Außerdem sind Sensoren bereits so kostengünstig erhältlich, dass ihre Anwendung in der Überwachung von Therapien und Rehabilitationen realistisch ist. Die Vernetzung mit webbasierten Anwendungen macht den Einsatz von Sensoren auch besonders für die Telerehabilitation interessant.
Eine kürzlich publizierte Studie hat gezeigt, dass die Bewegungserfassung des Kniegelenkes in der Sagittalebene mittels zwei lokal am Knie angebrachter Sensoren ähnlich präzise war wie mit einer markergestützten Bewegungsanalyse [19]. In verschiedenen wissenschaftlichen Studien wurden lokal angebrachte Sensoren schon zur Überwachung der Rehabilitation nach Kniegelenksprothetik angewandt [10, 26, 37].
Ein praktikables Sensorsystem ist bereits kommerziell erhältlich (Orthelligent, OPED, Valley). Dieser Sensor wird unterhalb des Kniegelenkes am Unterschenkel angebracht (Abb. 7). Mit diesem Sensor können verschiedene funktionelle Tests (Bewegungsausmaß, Koordination, Kraft, Schnelligkeit) erfasst werden, die der Patient selbstständig durchführen kann, wenn diese vorher unter Anleitung erlernt wurden. Eine App (Orthelligent Pro App) leitet den Patienten zu den verschiedenen Bewegungstests an, welche anschließend direkt ausgewertet werden. Die Überwachung der Tests kann zusätzlich optisch durch ein von Orthelligent unabhängiges Videosystem erfolgen. Die Untersuchungsergebnisse werden in eine digitale Datenbank übertragen und sind so vom Arzt oder Untersucher auch online fernab des Untersuchungsortes einsehbar. Die Haupteinsatzgebiete für dieses Sensorsystem liegen in der Rehabilitation nach Knieverletzungen und Knieoperationen (z. B. „return to sport“ nach VKB(Vorderes Kreuzband)-Plastik). Ein weiterer Einsatzbereich könnte auch in der sportmedizinischen Betreuung von Leistungssportlern liegen, wenn sich diese in Trainingslagern oder auf Wettkämpfen im Ausland befinden [33]. Aber auch für die Rehabilitation nach Knieendoprothetik ist dieses System interessant.
In der klinischen Praxis ist das Orthelligent System bereits etabliert und einfach in der Anwendung. Wissenschaftliche Daten zur Validierung des Systems sind nach unserem Kenntnisstand bisher nicht publiziert.
Wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz der Telemedizin in der Orthopädie und Unfallchirurgie
Verschiedene Autoren haben bereits vor Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie die Rolle der Telemedizin in der Orthopädie und Unfallchirurgie wissenschaftlich untersucht [7,8,9, 11, 21, 22, 25]. Dabei haben die meisten Studien jedoch Arzt-zu-Arzt-Konsultationen analysiert. Diese Studien stammten entweder aus der Militärmedizin oder aus dünn besiedelten Ländern [7,8,9, 31, 36]. Tab. 4 fasst verschiedene wissenschaftliche Studien zur Evidenz telemedizinischer Anwendungen in der Orthopädie und Unfallchirurgie zusammen.
Videosprechstunde
Zur Bedeutung der Videosprechstunde haben wir verschiedene Studien gefunden. Hervorzuheben ist aufgrund des hochwertigen Studiendesigns eine randomisierte kontrollierte Studie aus Norwegen, deren Ergebnisse auf drei Publikationen aufgeteilt wurden [7,8,9].
Buvik et al. verglichen Video-Konsultationen mit Standardsprechstunden bei orthopädischen Patienten. Vierhundert Patienten wurden webbasiert randomisiert [7,8,9]. Von diesen wurden 199 Patienten (98 %) einer Fernkonsultation und 190 Patienten (95 %) einer Standardberatung unterzogen [7,8,9]. Die fachliche Bewertung (primärer Endpunkt) durch die durchführenden Ärzte war bei der Standardkonsultation zwar signifikant besser als bei Fernkonsultation (1,72 gegenüber 1,82, p = 0,0030); das Konfidenzintervall lag jedoch innerhalb der Nicht-Minderwertigkeitsspanne [7,8,9]. Auch bei weiteren sekundären Endpunkten gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Dauer der Konsultation betrug 20,9 min in der Standardsprechstundengruppe und 20,5 min in der Telemedizingruppe [7,8,9]. Auch hinsichtlich der OP-Indikationen (17 % in der Standardgruppe und 11 % in der Telemedizingruppe) und Komplikationen (21 % in der Standardgruppe und 17 % in der Telemedizingruppe) bestanden keine signifikanten Unterschiede [7,8,9]. Es bestand kein Unterschied in den „patient reported outcome measures“ (PROM). Der EQ-5D Index Score betrug 0,77 in der konventionellen und 0,75 in der Telemedizingruppe (p = 0,42) [8]. Die Kosten der Videosprechstunde waren nach 151 Patientenkonsultationen geringer als die der konventionellen Sprechstunde [9].
Die Autoren zogen die Schlussfolgerung, dass sich videounterstützte Konsultationen für orthopädische Patienten eignen [7,8,9]. Junge Patienten mit Knieproblemen (sporttraumatologische Diagnosen) und Schulterpatienten wurden jedoch von der Studie ausgeschlossen, da hier nach Ansicht der Autoren funktionelle Untersuchungen (Kniestabilität, Schultertests) eine große Rolle in der Diagnostik spielen [7,8,9].
Zwei kleinere Kohortenstudien konnten ebenfalls über positive Erfahrungen nach dem Einsatz einer Videosprechstunde berichten. Videokonferenzgestützte Untersuchungen von ambulanten orthopädischen Patienten in einer Grundversorgungseinheit brachten im Vergleich zu Konsultationen in einer Krankenhausambulanz eine vergleichbare Patientenzufriedenheit mit sich [14].
Telerehabilitation
Zum Einsatz der Telemedizin zur Überwachung der postoperativen Rehabilitation ist im Jahre 2017 ein systematisches Review publiziert worden [26]. In dieses systematische Review konnten 15 Studien mit insgesamt 1316 Teilnehmern eingeschlossen werden. Insgesamt 1316 Teilnehmer erhielten in den ausgewählten Studien eine Telerehabilitationsmaßnahme, wobei 75 % aller Studien einen Knie- und Hüftersatz ausmachten. Für die telemedizinische Überwachung der Rehabilitation nach Implantation einer Knie- und Hüftprothese bestand starke und mäßige Evidenz (Empfehlungsgrad A–B). Studien zur oberen Extremität machten 25 % der Studien aus, von diesen zeigte nur eine Studie einen mäßigen Evidenzgrad (Grad der Empfehlung B). Der Rest der Studien zur oberen Extremität war von schlechter methodischer Qualität mit schwacher Evidenz (Grad der Empfehlung C).
In ein neueres systematisches Review aus dem Jahre 2018 wurden nur 4 prospektiv randomisierte Studien mit insgesamt 442 Patienten eingeschlossen [18]. In diesem Review erreichten Patienten nach Telerehabilitation eine signifikant bessere Extension und Quadrizepskraft als nach Präsenzrehabilitation bei vergleichbarem Schmerzniveau [18]. Auch der Western Ontario McMaster Universities Osteoarthritis Score war nach Telerehabilitation höher [18].
Hinsichtlich des Einsatzes des TRAK-ACL-Systems in der Rehabilitation nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes wurde bisher eine Studie publiziert [13]. In diese konnten 24 Patienten eingeschlossen werden. In dieser Studie erwies sich TRAK-ACL als akzeptable Methode zur Durchführung einer Rehabilitation nach VKB-Plastik. Die Patienten berichteten, dass TRAK, insbesondere die Videos, ihr Selbstvertrauen und ihre Motivation bei der Rehabilitation steigerten.
Fazit
Erste telemedizinische Ansätze in der Orthopädie und Unfallchirurgie sind ermutigend. Gerade jetzt zu Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie mit der Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen wächst auch in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland das Interesse an diesen Anwendungen. Insbesondere am Kniegelenk lässt sich mit dem Einsatz von Videotechnik die telemedizinische Anamnese kostengünstig durch einfache Untersuchungsbefunde (Inspektion, Eigenpalpation, Beweglichkeit, einfache Tests) ergänzen. Nachteil ist, dass funktionelle Tests (z. B. Kniestabilität) nicht durchführbar sind und auch die Inspektion abhängig von den technischen Voraussetzungen ist. Als Limitationen der telemedizinischen Behandlung auf Patientenseite können darüber hinaus kognitive Einschränkungen (u. a. Erkrankungen aus dem dementiellen Formenkreis) mit Problemen bei der aktiven Beteiligung an den geforderten Untersuchungsgängen genannt werden. Weiterhin bestehen für die Durchführung von videobasierten Behandlungsformaten Anforderungen an die verfügbare Internetinfrastruktur, wobei nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur 2019 90 % der Bundesbürger über Breitbandinternet (≥50 Mbit/s) verfügten [6]. Bisherige wissenschaftliche Daten zur Evidenz von Videokonsultationen sind jedoch ermutigend. Hier besteht allerdings noch großer Handlungsbedarf, um insbesondere videogestützte Untersuchungsmethoden weiter zu validieren. Zu den Vorteilen telemedizinischer Anwendungen können die Vermeidung langer Anfahrtswege, die bessere Anbindung ländlicher Regionen an spezialisierte medizinische Versorgung sowie die resultierende Kosteneffizienz genannt werden. Auch in der Rehabilitation nach Knieverletzungen und Knieoperationen werden telemedizinische Applikationen bereits eingesetzt und bieten in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie eine Möglichkeit zur kontaktlosen Therapieüberwachung aus der Ferne. Diese Technologien sollten weiter ausgebaut werden, da sie auch nach der Coronakrise Möglichkeiten z. B. in der Betreuung von Leistungs- und Profisportlern oder in der Betreuung von internationalen Patienten bieten.
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Backhaus, L., Bierke, S., Karpinski, K. et al. SARS-CoV-2-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: „Booster“ für die Telemedizin. Knie J. 2 (Suppl 1), 10–19 (2020). https://doi.org/10.1007/s43205-020-00062-z
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