Einleitung

Ziel des vorliegenden Konsensuspapiers ist es, nach Analyse der aktuellen Datenlage konkrete Empfehlungen für den Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme hinsichtlich Inhalten und Struktur zu machen. Mit der Übergabe vom Rettungsdienst an die zentrale Notaufnahme beginnt für eine Vielzahl von Notfallpatienten der klinische Behandlungsprozess, welcher den im Folgenden beschriebenen Rahmenbedingungen unterliegt. Daher liegt der Hauptfokus des Konsensuspapiers auf dieser Schnitt‑/Nahtstelle. Darüber hinaus lassen sich Kernbestandteile der Übergabe bzw. des Übergabeprozesses und somit die ausgesprochenen Empfehlungen auch auf andere Schnittstellen, wie z. B. die innerklinischen, übertragen.

Die Übergabe in der Medizin ist definiert als die Übertragung der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit für einige oder alle Aspekte der Versorgung eines oder mehrerer Patienten an eine andere Person oder Berufsgruppe für vorübergehende oder längere Zeit [1, 2].

Als Bestandteil eines Gesamtbehandlungsprozesses schließt sie einerseits die präklinische Versorgung ab und muss andererseits an der Nahtstelle zur zentralen Notaufnahme (ZNA) durch die Weitergabe der bisherigen Behandlungs- und Patienteninformationen die Kontinuität und Sicherheit im Gesamtbehandlungsprozess gewährleisten. Nach der Übergabe beginnt der innerklinische Behandlungsprozess.

In der Regel existiert für die mündliche/schriftliche Übergabe und die Übermittlung patientenrelevanter Informationen nur eine einmalige Möglichkeit. Der Übergabe kommt somit eine immense Bedeutung zu ([3]; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Darstellung des Gesamtbehandlungsprozesses mit der Übergabe als Nahtstelle der präklinischen Versorgung zur klinischen Versorgung

Speziell in zentralen Notaufnahmen werden Übergaben als komplex beschrieben und sind mit einem erhöhten Fehlerrisiko aufgrund des hohen Stress- und Zeitdrucks bei der Versorgung der Patienten behaftet [4, 5]. Gleichzeitig kommt erschwerend das differente Kompetenzniveau der beteiligten Berufsgruppen hinzu. Nahezu täglich erleben Mitarbeiter von Notaufnahmen eine rasche Patientenfluktuation, hohe Patientenzahlen sowie Inkonsistenzen und Unvorhersehbarkeiten im Arbeitsalltag [3, 6, 7]. Im Gegensatz zu Schichtübergaben auf den Stationen ist die Übergabe von der präklinischen Versorgung an die ZNA immer auch eine interprofessionelle Übergabe, an der mindestens zwei Berufsgruppen beteiligt sind, nämlich Rettungsdienst und Pflege, sowie häufig auch noch eine dritte Berufsgruppe, die Ärzte. Im Zuge der zunehmenden telemedizinischen Unterstützung von Notfallsanitätern wird es vermehrt Übergaben geben, bei denen im Vorfeld ein Arzt (Telenotarzt) involviert war, welcher dann aber persönlich bei der Übergabe nicht anwesend ist. Die verschiedenen Erwartungen und fachlichen Voraussetzungen der einzelnen Berufsgruppen bei der Übergabe können zu Missverständnissen und Unzufriedenheit führen [4, 8]. Außerdem konnten Untersuchungen der Australian Commission on Safety and Quality in Health Care (ACSQHC) zeigen, dass gerade bei Vorliegen komplexer Patientenprobleme die Übergabequalität abnimmt [9].

Studienlage zur Übergabe

Die häufigste Ursache für sog. Sentinel-Ereignisse, die der Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations (JCAHO) in den Vereinigten Staaten von Amerika zwischen 1995 und 2006 gemeldet wurden, war inadäquate Kommunikation [3]. Daraus folgend ist seit 2006 in den USA das Thema Patientenübergabe in den Fokus gerückt und als Konsequenz wurde die Einführung standardisierter Patientenübergaben zur Erhöhung der Patientensicherheit als Ziel formuliert [10].

In einer longitudinalen Untersuchung wurde gezeigt, dass Kommunikationsfehler in US-amerikanischen Krankenhäusern und Arztpraxen für 30 % aller Behandlungsfehlervorwürfe verantwortlich sind. Dies führte über einen Zeitraum von 5 Jahren zu 1744 Todesfällen und Kosten in Höhe von 1,7 Mrd. US-Dollar [11]. Daten aus Australien zeigen, das von 25.000 bis 30.000 unerwünschten, potenziell vermeidbaren Ereignissen, die zu einer dauerhaften Schädigung führten, 11 % auf Kommunikationsprobleme zurückzuführen waren [12]. Scott et al. haben in ihrer Studie untersucht, welche mündlich übermittelten Informationen unmittelbar nach der Übergabe beim aufnehmenden Personal noch abrufbar waren. Insgesamt erinnerten sich die Ärzte genau an 36 % des Inhalts der mündlichen Übergabe. Informationen von weniger schwer verletzten Notfallpatienten konnten besser wiedergegeben werden als von schwer verletzten Notfallpatienten [13]. Bogenstätter et al. fanden in ihrer Simulationsstudie im Setting einer Notfallambulanz heraus, dass Übergabeinformationen nur teilweise zuverlässig sind [14]. Evans et al. haben in ihrer Untersuchung ebenfalls herausgestellt, dass Informationen bei der Übergabe von Traumapatienten fehlten bzw. falsch übermittelt wurden [15]. Theobald et al. haben den Übergabeprozess bei Interhospitaltransporten untersucht und konnten zeigen, dass unter Anwendung eines standardisierten Übergabeprotokolls die Krankenhaussterblichkeit signifikant gesenkt werden konnte [16].

Ein in der Literatur beschriebenes Instrument zur Verbesserung des Übergabeprozesses ist das sog. Targeted Solutions Tool (TST®), hierbei handelt es sich um eine innovative Anwendung zur Fehlerdetektion im Rahmen der Übergabe [10]. In einer Studie im Bartlett Regional Hospital in Juneau, Alaska, konnte gezeigt werden, dass mit der Anwendung des TST® vier Hauptfaktoren für 69,8 % der fehlerhaften Übergaben verantwortlich waren. Hierbei handelt es sich um ungenaue/unvollständige Informationen, ineffektive Methoden (schriftlich/mündlich), keine standardisierten Verfahren für eine effektive Übergabe und mangelndes Wissen bei der übergebenden Person [17].

Keebler et al. griffen mit ihrer Untersuchung im Jahr 2017 die von der JCAHO im Jahr 2007 geforderte Standardisierung der Übergabe auf und stellen fest, dass die Standardisierung in allen Studien unterschiedlich ist und somit eine Vergleichbarkeit nur eingeschränkt möglich ist [18].

Diese reicht von der Einführung einer Merkhilfe (Mnemonic wie z. B. ISBAR, IPASS), computergestützten Übergabeprogrammen sowie Protokollen/Übergabealgorithmen bis hin zu Etablierung von Checklisten.

Daraus folgerten Keebler et al., dass Protokolle prinzipiell funktionieren. Sie objektivieren die Übergabe und geben dem Anwender eine Orientierung, welche Informationen übermittelt werden sollen. Insgesamt führen sie dazu, dass die Beteiligten der Übergabe in einem gemeinsamen Gedankenmodell („shared mental model“) agieren. Dementsprechend haben alle „Sender“ das gleiche Verständnis, welche Informationen sie übermitteln sollten, und alle „Empfänger“ wissen, welche Informationen sie benötigen bzw. erwarten können. Diese strukturierte Kommunikation verbessert im klinischen Versorgungsspektrum das Outcome und beeinflusst darüber hinaus die Ergebnisse auf organisatorischer Ebene. Beispielweise ist hier der Anspruch des Advanced Trauma Life Support (ATLS®) zu nennen, bei dem eine „gemeinsame Sprache“ („commmon language of trauma“) gelehrt wird [19].

Bisherige Konzepte und Leitlinien

In Bezug auf eine Merkhilfe empfiehlt die WHO seit 2007 die Nutzung des SBAR-Schemas (Situation, Backround, Assessment, Recommendation) bei der Übergabe von Patienten zur Verbesserung der Patientensicherheit [20].

Im Jahr 2008 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Entwicklung von Standard Operating Procedures (SOP) in der Kommunikation als eine der fünf Prioritäten im Bereich Patientensicherheit für Länder der ersten Welt formuliert [21].

In Deutschland gibt es bisher keine Initiative, die auf nationaler Ebene versucht, den Übergabeprozess zu verbessern und als gesundheitspolitisches Ziel zu definieren.

Es existieren lediglich singuläre Publikationen und Engagements zum Thema Übergabe.

Der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst (DBRD) hat bereits im Jahr 2007 ein Positionspapier zur Voranmeldung und Übergabe von Patienten an der Schnittstelle Rettungsdienst/Klinik veröffentlicht [22].

Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hat auf Basis eines Beschlusses des engeren Präsidiums im Jahr 2016 das SBAR-Konzept (situation, backround, assessment, recommendation) für die strukturierte Übergabe in der perioperativen Phase empfohlen [23].

Darüber hinaus werden in Deutschland Ausbildungskonzepte angeboten, die standardisierte diagnostische und therapeutische Handlungsabläufe für die präklinische oder die frühe innerklinische Erstversorgung von schwer verletzten bzw. schwer erkrankten Patienten definieren. Im European Trauma Course (ETC®) wird beispielsweise das AT-MIST-Schema (age, time- mechanism, injury, signs, treatment) zur fokussierten Traumaübergabe im Schockraum gelehrt. Zur strukturierten und schnellen Erfassung von bedrohlichen Verletzungen und Störungen der Vitalfunktionen wird der <C>ABCDE-Algorithmus (airway, breathing, circulation, disability, environment) herangezogen, zur strukturierten Anamneseerhebung das SAMPLER-Schema (symptoms, allergies, medication, past medical history, last oral intake, events, risk factors) [24].

Vergleicht man diese mit der aktuellen Literatur so muss konstatiert werden, dass es sich bei beiden Angaben nicht um ein Übergabeschema für die ZNA im klassischen Sinne handelt [25].

In der aktuellen S3-Leitlinie zur Polytrauma‑/Schwerverletztenbehandlung wird als Good Practice Point (GPP) aufgeführt, dass zur Vermeidung von Schnittstellenproblemen bei der Übergabe bzw. Übernahme von schwer verletzten Patienten geeignete und standardisierte Kommunikationsmethoden verwendet werden sollen [26].

Die Merkhilfe als Kernbestandteil der Übergabe

In der Literatur sind inzwischen eine Vielzahl von Merkhilfen (Mnemonics) zur Standardisierung der mündlichen Übergabe publiziert worden ([25, 27]; eine Zusammenstellung finden Sie im Online-Zusatzmaterial, siehe Hinweisbox am Anfang des Beitrags).

Mnemonics sind Gedächtnishilfen, die eingängig sein sollen und ein Akronym mit einem Prozess verknüpfen. In Tab. 1 sind die Aufgaben und Anforderungen einer Übergabemerkhilfe aufgelistet.

Tab. 1 Auflistung der Aufgaben und Anforderungen einer Merkhilfe

Umfassend – sicher – einfach – robust

Die Merkhilfe sollte als „Skelett“ für eine umfassende, zeitlich begrenzte Übergabe angesehen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt die Analyse der Datenlage allerdings keinen Rückschluss zu, welches für die Übergabe die zu favorisierende Merkhilfe ist. Im direkten Vergleich zeigt sich, dass sie aus unterschiedlichen Motivationen heraus entwickelt wurden und deshalb alle einen unterschiedlichen Fokus haben. Nichtsdestotrotz lassen sich einige Anforderungen an eine geeignete Merkhilfe für die Übergabe in der ZNA definieren [25]. Die Merkhilfe muss eingängig sein und dem Anwender eine gute Gedächtnisstütze für die zu übergebenden Inhalte geben. Der Aufbau der Merkhilfe sollte in sich logisch sein und eine praxisbezogene Reihenfolge mit sich bringen. Komplexe Patienten sollten in der Merkhilfe genauso abgebildet sein wie weniger kritische Notfallpatienten. Angaben zur medizinischen Situation bzw. zum Unfallmechanismus, der präklinische Untersuchungsbefund und das führende Problem, im bewährten <C>ABCDE-Algorithmus, müssen in der Merkhilfe enthalten sein. Abschließen sollte die Merkhilfe inhaltlich mit den präklinischen Notfallmaßnahmen und mit relevanten Informationen zur allgemeinen Krankengeschichte/zu soziodemografischen Daten sowie Risikofaktoren und Allergien [28].

Im Online-Zusatzmaterial dieses Beitrags finden Sie eine Übersicht der am häufigsten in der Literatur beschrieben Merkhilfen.

Empfehlungen zur Übergabe

Gibson et al. beschreiben in ihrer Arbeit 4 Phasen der Übergabe [29]:

  • Vorbereitung

  • Zusammenkommen – hier die bewusste Unterbrechung der Arbeitsabläufe!

  • Dialog – Austausch

  • Zusammenfassung

Betrachtet man den Übergabeprozess aus Crew-Ressource-Management(CRM)-Gesichtspunkten, so wird deutlich, dass CRM-Aspekte wie Kooperation, situative Aufmerksamkeit, Führungsverhalten, Entscheidungsfindung sowie sichere und effektive Kommunikation in der Übergabe eine wesentliche Rolle spielen [30].

Empfehlung 1

Crew-Ressource-Management-Prinzipien sollen immer die Basis des Übergabeprozesses bilden.

Im Sinne eines gestörten „Sender-Empfänger-Modells“ besteht das Risiko einer Schädigung des Patienten, wenn der „Empfänger“ Informationen erhält, die ungenau oder unvollständig sind. Darüber hinaus führen eine unstrukturierte Informationsweitergabe, falsche Interpretation von vermittelten Inhalten oder nichtrelevante Informationen zu einer zusätzlichen Patientengefährdung [3, 31].

Verläuft die Übergabe nicht standardisiert und ohne Konzentration auf die Inhalte der Informationsweitergabe, verliert sie deutlich an Wirkung. Merkhilfen als Kernbestandteil der mündlichen Übergabe sollen genau diesen negativen Einflussgrößen entgegenwirken ([25]; Abb. 2).

Abb. 2
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Schematische Darstellung der mündlichen Übergabe in der ZNA. Basis ist ein konsentierter Übergabeprozess. Kernbestandteil ist die Merkhilfe, welche durch CRM-Prinzipien „getragen“ wird. Identifikation beinhaltet Alter, Geschlecht und Name. Notfallereignis impliziert die 4 „W-Fragen“: was (Leitsymptom/Verdachtsdiagnose), wie (Beschreibung des Ereignisses), wo (Ort) und wann (Zeitpunkt)? Die Priorisierung soll mithilfe des <C>ABCDE-Algorithmus stattfinden. Durchgeführte Maßnahmen werden inklusive deren Wirkung übergeben. Die Übergabe der Anamnese des Patienten sollte sich am sog. SAMPLER-Schema orientieren. Am Ende der Übergabe steht die Kurzwiederholung durch den „Empfänger“, und gezielte Rückfragen sind möglich

Empfehlung 2

Die Übergabe kritischer Inhalte soll standardisiert, unter Zuhilfenahme einer bundesweit einheitlich konsentierten Merkhilfe, stattfinden.

Die Autoren des vorliegenden Konsensuspapiers validieren derzeit mit einem zweistufigen Verfahren eine neu entwickelte Merkhilfe, die die Empfehlungen des Konsenspapiers erfüllt und hierbei CRM-Prinzipien fest integriert hat. Diese Ergebnisse werden getrennt publiziert und sollen die Grundlage für eine bundesweit einheitlich konsentierte Merkhilfe liefern.

Zentrale und standardisierte Anmeldung in der ZNA

Eine Vorabinformation über die Zuführung eines Notfallpatienten mit erhöhten medizinischen, logistischen, infrastrukturellen Anforderungen, unabhängig davon, ob traumatologisch oder nichttraumatologisch, sollte in der zentralen Notaufnahme erfolgen. Die ZNA braucht zur Vorbereitung essenzielle Informationen über den Patienten, daher ist es unabdingbar, die Anmeldung standardisiert durchzuführen [22].

Das kann entweder telefonisch über ein sog. „Rotes Telefon“ erfolgen oder wie vielerorts in Deutschland über eine webbasierte Anwendung (z. B. „IVENA eHealth“, „Rescue Track“ etc.).

Eine einheitliche, strukturierte Anmeldung für kritisch kranke Patienten minimiert Informationsverluste und ermöglicht den aufnehmenden Kliniken eine zeitgerechte und patientenorientierte Vorbereitung zur nahtlosen (Weiter‑)Versorgung [32].

Eine enge Absprache und verbindlich strukturierte Zusammenarbeit mit dem örtlichen Rettungsdienst ist daher unabdingbar.

Empfehlung 3

Die Anmeldung eines Notfallpatienten durch den Rettungsdienst soll standardisiert in der ZNA erfolgen.

Vorbereitung der ZNA

Sharon Ryan und Mitarbeiter haben in ihrer Untersuchung nachweisen können, dass das Outcome der Patienten durch ein adäquates Teambriefing positiv beeinflusst wird. Je besser das Team auf die anstehende Herausforderung vorbereitet ist, desto strukturierter kann die Übergabe und somit auch die Versorgung stattfinden [33]. Das CRM-Prinzip „Antizipiere und plane voraus“ hat gerade beim Übergabeprozess eine enorme Bedeutung. Die interdisziplinäre Aufgabenverteilung und der Ablauf sollten daher sowohl logistisch wie auch medizinisch im Vorfeld eindeutig geregelt sein und regelmäßig geschult werden [30].

Empfehlung 4

Vor Ankunft von kritisch kranken Notfallpatienten soll ein Teambriefing mit allen Beteiligten der Notfallversorgung stattfinden.

Es empfiehlt sich, die Informationen, welche vorab im Rahmen der Anmeldung übermittelt worden sind, plakativ im Schockraum an eine Anzeigetafel (z. B. ein Whiteboard) zu schreiben. Idealerweise orientiert sich die Struktur der Anzeigetafel an der vom Rettungsdienst angewendeten Merkhilfe. Dies hat mehrere Vorteile. Zum einen können während der mündlichen Übergabe noch fehlende Informationen ergänzt werden, zum anderen können die dann verfügbaren Informationen zur Rekapitulation herangezogen werden. Zusätzlich haben später hinzugezogene Teammitglieder direkt einen Überblick über alle initialen Informationen.

Empfehlung 5

Informationen aus der Anmeldung und der Übergabe sollen für alle sichtbar im Schockraum zur Verfügung stehen.

„Face-to-face-Übergabe“ und „hands off“

Bundeseinheitlich wird nach Empfehlung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im Rettungsdienst der Datensatz zur Dokumentation rettungsdienstlicher/notärztlicher Einsätze als sog. DIVI-Protokoll genutzt [34]. Dieses Protokoll ermöglicht eine umfassende, detaillierte und systematische Dokumentation des rettungsdienstlichen Einsatzes, kann allerdings die mündliche Übergabe in der ZNA nicht ersetzen. Solet et al. schlussfolgern in ihrer Arbeit, das eine eindeutige Kommunikation von Angesicht zu Angesicht der beste Weg ist, eine effektive Übergabe von Krankenhauspatienten zu gewährleisten [35]. Ausschließlich elektronische Übergaben oder in Papierform sollen vermieden werden, sehr wohl kann die Übergabe mit visueller Unterstützung (z. B. Pocketcard) erfolgen.

Darüber hinaus sollte die Übergabe in einer ruhigen, freundlichen und wertschätzenden Umgebung am Patienten stattfinden.

Empfehlung 6

Die Übergabe soll interaktiv zwischen „Sender“ und „Empfänger“ ausgerichtet sein und in einer freundlichen, wertschätzenden Atmosphäre stattfinden.

Gleichzeitig spiegelt diese Fokussierung während der Übergabe eine besondere Art des Respekts gegenüber dem Empfänger der Nachricht wider. Von „Angesicht zu Angesicht“ ist bei der Übergabe zwischen zwei Einzelpersonen wörtlich zu nehmen [36].

Bei der Übergabe von kritisch kranken Patienten im Schockraum sollte darauf geachtet werden, dass die Übergabeinformationen an alle Teammitglieder gerichtet werden.

Auf der Seite des aufnehmenden Teams soll ein klarer Ansprechpartner kenntlich gemacht werden (Teamleader). Vor Beginn der Übergabe sollte unbedingt eine kurze klinische Prüfung stattfinden, („5-second round“), um zu gewährleisten, dass der Patient durch die Phase der Übergabe nicht zusätzlich gefährdet wird. Bei Patientenzuständen (z. B. laufende cardiopulmonale Reanimation CPR), die keine Unterbrechung zur Übergabe zulassen, ist eine sofortige Umlagerung bei Eintreffen des Rettungsdiensts anzustreben. Hier kann die Übergabe trotzdem primär an den Teamleader stattfinden, der dann sekundär zeitnah die Information zu einem geeigneten Zeitpunkt ins Team trägt [37].

Empfehlung 7

Die Übergabe soll bei Anwesenheit aller an der Versorgung beteiligten Teammitglieder erfolgen.

Idealerweise findet die Übergabe in einem Arbeitsbereich oder einem Umfeld statt, das den Austausch von Informationen über einen Patienten fördert, wie z. B. einer Zone, die frei von nichtnotfallbedingten Unterbrechungen ist. Untersuchungen mit Pflegekräften zeigen, dass eine laute Geräuschkulisse während der Übergabe nachteilige Auswirkungen insbesondere auf die mnestischen Fähigkeiten hat [38]. Darüber hinaus reduziert Lärm die Speicherung komplexer Sachverhalte und verursacht Stress, welcher mit einem erhöhten Fehler- und Personalausfallrisiko einhergeht [39].

Der Teamleader sorgt für die notwendige Ruhe und sorgt mit der Initiierung der Übergabe dafür, dass alle Teammitglieder zuhören und keine Manipulationen am Patienten vorgenommen werden. Untersuchungen zeigen, dass gerade diese Konzentration und Fokussierung die Übergabequalität verbessert [13].

Empfehlung 8

Die Übergabe soll bei minimaler Geräuschkulisse stattfinden. Manipulationen während der Übergabe sollten unterlassen werden.

In anderen Bereichen wie z. B. im OP hat das sog. „Time-out“ signifikant zu einer Verringerung der Fehler und zur Senkung der Sterblichkeit geführt [40].

Wiederholung und Fragen

Am Ende der Übergabe sollten im Sinne einer geschlossenen Kommunikation die essenziellen Übergabeinformationen durch den „Empfänger“ rekapituliert werden. Nur so ist sichergestellt, basierend auf dem Sender-Empfänger-Modell, dass das Gesagte auch inhaltlich richtig verstanden wurde.

Empfehlung 9

Am Ende der Übergabe sollten die Informationen kurz laut und verständlich zusammengefasst werden.

Am Ende der Übergabe sind Fragen zu übergaberelevanten Aspekten ausdrücklich von jedem Teammitglied erwünscht. Insgesamt sollte die Übergabe nicht länger als zwei Minuten dauern. Keiner kennt den Patienten zum Zeitpunkt der Übergabe so gut wie die Besatzung des zuführenden Rettungsmittels. Unabhängig davon, ob ärztlich besetzt oder nicht, sollte im Rahmen der Übergabe die Möglichkeit bestehen, besondere Hinweise aussprechen zu dürfen. Basis für diese Empfehlung wird somit die präklinische Betreuungszeit bzw. die Arbeitshypothese/Verdachtsdiagnose des Rettungsdiensts sein.

Im Kontext der ausgesprochenen Empfehlung kann es zum sog. „Framing-Effekt“ kommen, dieser bezeichnet einen diagnostischen Fehler im Sinne eines kognitiven Bias. Er kann auftreten, wenn das abgebende Team einen bestimmten Aspekt überbetont und das aufnehmende Team dadurch beeinflusst wird [41].

Es ist davon auszugehen, dass durch die Anwendung einer Merkhilfe bei der Übergabe ein sog. „Framing-Effekt“ minimiert wird. Die Merkhilfe standardisiert und strukturiert die Übergabe, konsekutiv wird die Beeinflussungsmöglichkeit der Realitätswahrnehmung bei der adressierten Person reduziert. Darüber hinaus sollte das aufnehmende Team ausgesprochene Verdachtsdiagnosen immer kritisch hinterfragen, um nicht vorschnell zu einer Therapieentscheidung zu kommen. Das aktive Hinterfragen ist kein Zeichen mangelnder Wertschätzung, sondern dient lediglich der Vermeidung diagnostischer Fehler.

Empfehlung 10

Am Ende der Übergabe soll dem aufnehmenden Team die Möglichkeit von Fragen eingeräumt werden.

Im Sinne einer Qualitätssicherungsmaßnahme sollte nach Abschluss der Notfallversorgung durch das aufnehmende Team eine Rückmeldung an die Besatzung des zuführenden Rettungsmittels erfolgen (Rettungsgesetz NRW § 7a Absatz 2). Hierbei ist das Strafgesetzbuch § 203 Verletzung von Privatgeheimnissen („ärztliche Schweigepflicht“) zu beachten. Eine Rückmeldung zum Verlauf des Patienten ist nur an die Teammitglieder des Rettungsdiensts zulässig, die an der Behandlung des jeweiligen Patienten beteiligt waren (Behandlungszusammenhang).

Empfehlung 11

Dem zuführenden Team sollte aus Sicht des Qualitätsmanagements aktiv eine Rückmeldung zum Verlauf des Patienten gegeben werden.

Organisatorische Voraussetzungen und Umsetzung

Bis zum heutigen Zeitpunkt existiert in Deutschland weder auf Bundesebene noch auf Landesebene ein konsentiertes Vorgehen zur Übergabe in der zentralen Notaufnahme. Daher ist es gerade in der Notaufnahme zwischen Rettungsdienst und Klinik erforderlich, dass gemeinsame Sichtweisen („shared understanding“) existieren, die die Übergabe in einer strukturierten, teambasierten Weise bedienen. Ein standardisiertes Vorgehen schaltet durch die geregelten Abläufe und Inhalte potenzielle Fehlerquellen aus und erhöht die Patientensicherheit. Da viele potenzielle Fehler auf der Komplexität, der Unsicherheit, fehlendem Teammanagement bzw. Missverständnissen zwischen den Teammitgliedern in der Übergabesituation beruhen, sollten alle Beteiligten entsprechend qualitativ ausgebildet und trainiert werden.

Empfehlung 12

Teamwork, Kommunikation, Vertrauen, Situationsbewusstsein, Rollen und Verantwortlichkeiten sowie Konfliktlösung und Sicherheitskultur sollten in regelmäßigen Trainings mit allen Beteiligten, die eine Übergabe durchführen, geschult werden.

Übergaben sollten standardisiert und präzise sein. Sie sind zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und für jeden Patienten in hoher Qualität durchzuführen. Um dieses Leistungsniveau zu erreichen, sind ein starkes Engagement, Ressourcen, ein Programm zur Längsschnittüberwachung sowie eine Verbesserung der Übergabepraktiken erforderlich. Letztlich dient dies dem Ziel, die besten Praktiken in die kulturellen Normen und Erwartungen aller Beteiligten zu integrieren.

Diese Aspekte sind von Starmer et al. mit der I‑PASS-Studie eindrucksvoll belegt worden [42]. Im Rahmen der im New England Journal of Medicine publizierten Studie wurde ein „hand-off bundle“ für die mündliche Übergabe entwickelt; dieses enthält u. a. folgende Elemente: das „Mnemonic“, einen Workshop zu Teamwork, Kommunikation und Übergabetechniken; ein simuliertes Szenario zur praktischen Vertiefung des Workshops; ein E‑Learning-Modul zur eigenständigen Erarbeitung von Lerninhalten; die professionelle Weiterentwicklung der Ausbildung; festgelegte Beobachtungskriterien für Bewertung und Feedback; eine Kampagne zur Nachhaltigkeit von Prozess- und Kulturentwicklung (mit Logo, Poster etc.). Die WHO empfiehlt ihren Mitgliedsländern den Einsatz eines einheitlichen Vorgehens an allen Schnittstellen der Patientenübergabe.

Unabdingbar, wie von der JCAHO 2017 festgestellt, sind darüber hinaus die Schaffung eines geeigneten Arbeitsumfelds sowie die Vorhaltung eines adäquaten Equipments, ausreichendes Personal und vor allem, dass eine entsprechende Kultur in der Übergabe aktiv gelebt wird [10].

Eine nationale Initiative zur Standardisierung des Übergabeprozesses in der ZNA wäre für Deutschland, entsprechend den in England, Australien und USA bereits erfolgten Initiativen, dringend anzustreben.

Empfehlung 13

Die Implementierung einer standardisierten interprofessionellen Übergabe sollte zu einem nationalen gesundheitspolitischen Ziel erklärt werden.

Langfristig ist zu fordern, dass in Analogie zu der geforderten Ersteinschätzung in der ZNA auch die Einführung von strukturierten Übergabeprozessen in externen Audits überprüft werden muss. Notwendig erscheint auch die einheitliche Aufnahme des Themas Übergabe (Übergabeschema) als Schulungsinhalt in die Curricula der bewährten präklinischen und klinischen Kurskonzepte zur Versorgung von Schwerverletzten, Reanimationspatienten oder Kindern. Ebenfalls sollte das Thema Übergabe bspw. in die Ausbildung zum Rettungssanitäter/Notfallsanitäter sowie in die Weiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ und „Notfallmedizin“ sowie „Notfallpflege“ Einzug halten. Darüber hinaus sollte das Thema „strukturierte Übergabe“ frei zugänglicher Bestandteil verschiedener Fort- und Weiterbildungen, aber auch regionaler Konzepte werden. Denkbar wäre auch eine spezifische „Übergabefortbildung“, die verpflichtend für alle sein könnte, bevor sie in der ZNA arbeiten.

Empfehlung 14

Die Lehre einer standardisierten Übergabe soll in alle relevanten Berufsausbildungen integriert werden.

Eine gute Übergabe ist kein Zufallsprodukt. Repetitive Trainingseinheiten zur Übergabe und somit eine entsprechende Übergabekultur sollten etabliert werden. Schulungsmaßnahmen zur Durchführung einer erfolgreichen Übergabe, sowohl aus der Sicht des Senders als auch des Empfängers, müssen standardisiert werden. Das Personal ist in die Ausbildung mit Methoden wie Echtzeitbeobachtung und Leistungsfeedback, Rollenspielen und Simulationen sowie selbstständigem Lernen einzubeziehen [10, 43, 44].

Empfehlung 15

Best-Practice-Beispiele bei Übergaben sollten angestrebt werden und die qualitativ hochwertigen Übergaben sollten zu einer gesundheitspolitischen Priorität werden. Entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen sollten bereitgestellt werden.