Seitdem ein ganzes Arsenal an Antibiotika, Virustatika oder auch präventiven Vakzinationen zum Umgang mit Infektionskrankheiten zur Verfügung steht, haben viele ihren Schrecken verloren. Die Pest ist ausgerottet, die Pocken sind selten, Polio ist auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, HIV-Erkrankungen mittlerweile gut behandelbar. Aber es tauchen immer wieder neue Erreger auf, die einerseits schwer einschätzbar sind wie z. B. aktuell das H1N1-Virus und andere, für die es noch keine wirksamen Therapieansätze gibt (z. B. Nipah-/Hendra-Virus).

Die Nipah- und Hendra-Viren, die u. a. zu einer Hirnstammenzephalitis führen, wurden in den 1990er Jahren (1999/95) erstmals isoliert und konnten vermutlich aufgrund der Verdrängung tierischer Lebensräume auf den Menschen übergehen; Vektoren sind hier v. a. Schweine und bestimmte Fledermausarten. Sogar erkrankte Pferde können transfizieren, wie das letal endende Beispiel eines Tierarztes in Australien belegt. Auch das geänderte Zugverhalten von Vögeln, der häufige Einsatz von Antibiotika, Zuchttierhaltung sowie der Klimawandel können Faktoren für das Auftreten neuer bisher nicht bekannter Erkrankungen bei Mensch und Tier darstellen. Ebenfalls ist die Vorstellung der räumlichen Begrenzung bestimmter Infektionen im Zeitalter der Globalisierung überholt. Krankheitserreger (z. B. mit Dengue-Virus infizierte Larven) reisen teilweise in gebrauchten Autoreifen rund um die Welt. Infizierte Touristen und Geschäftsreisende sorgen in den Heimatländern für eine Verbreitung von Viren, wie z. B. der Ausbruch des Chikungunya-Fiebers in der Gegend um Ravenna 2007 mit mehr als 200 Erkrankungsfällen zeigte. Bei neueren bzw. seltenen infektiologischen Ursachen ist sicherlich die geringe Erfahrung bzw. das „Nichterkennen“ das Hauptproblem. Hier sind eine ausführliche Anamnese einschließlich der Frage nach Auslandsaufenthalten sowie die Zusammenarbeit mit einem tropenmedizinischen Institut häufig richtungweisend.

Die Vorstellung der räumlichen Begrenzung bestimmter Infektionen ist überholt

Dasselbe gilt für die in den Industriestaaten seltenen parasitären Infektionen in der Neurologie. Wo in den Industriestaaten zerebrale Gefäßerkrankungen und Alkoholabusus hauptsächlich für symptomatische Epilepsien verantwortlich sind, führen in den Entwicklungs-/Schwellenländern parasitäre Infektionen wie die Neurozystizerkose (hervorgerufen durch Taenia solium) die Ursachenliste an.

Aber auch bekannte Infektionen wie die Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis stellen immer noch eine Herausforderung dar, denn selbst bei zeitnaher Diagnosestellung und maximalen therapeutischen Bemühungen liegt die Letalität weiterhin bei 20%.

Bei bakteriellen Meningitiden hat sich gezeigt, dass eine frühzeitige Therapieeinleitung elementar ist und das klinische Outcome dadurch entscheidend beeinflusst wird. Komplikationen wie eine vaskulitische Mitbeteiligung erfordern diagnostisches Gespür sowie umgehende therapeutische Konsequenzen, um eine bestmögliche Prognose für den Patienten zu erreichen.

„Es hört (oder sieht) doch jeder nur, was er versteht“. (Johann Wolfgang von Goethe)

Die folgenden Artikel in dieser Ausgabe von Der Nervenarzt sollen Ihnen einen aktuellen Überblick über virale, bakterielle und parasitäre Erkrankungen des Zentralnervensystems geben sowie auch auf weitere Komplikationen wie Vaskulitis hinweisen.

U. Meyding-Lamadé

W. Hacke