Rehabilitation (Stuttg) 2009; 48(5): 263-269
DOI: 10.1055/s-0029-1239547
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation: Entwicklung eines Patienten-Fragebogens

Stance Toward Psychosomatic Rehabilitation: Development of a Patient-QuestionnaireN. Karpinski1 , M. Lange1 , F. Petermann1 , A. Hessel3 , P. Lampe3 , M. Best2
  • 1Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen
  • 2Marbachtalklinik Bad Kissingen
  • 3Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
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Publication History

Publication Date:
21 October 2009 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Der Übergang von zu Hause in die stationäre psychosomatische Rehabilitation ist für viele Patienten problematisch. Aufgrund von unzureichender Information und Stigmatisierungsängsten kommt es häufig zu Motiva­tionsproblemen. Mit Vorbereitungsmaßnahmen soll diesen Problemen entgegengewirkt werden. Es wurde ein Patienten-Fragebogen entwickelt, der die Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation erfasst. Ziel der vorliegenden Studie ist die Überprüfung der psychometrischen Güte und Differenzierungsfähigkeit des Patienten-Fragebogens.

Methode: Die Prüfung der psychometrischen Güte (Item- und Skalenanalysen) erfolgte an einer Stichprobe von n=317 Reha-Patienten der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen, die vor und nach einer Vorbereitungsmaßnahme auf eine psychosomatische Rehabilitation schriftlich befragt wurden. Um zu bestimmen, ob der Fragebogen klinisch relevante Veränderungen abbilden kann, wurden Veränderungen von 124 Patienten, die an einem Aufklärungsgespräch teilgenommen haben, mit denen von 88 Patienten ohne Intervention varianzanalytisch verglichen. Zusätzlich erfolgte eine Veränderungsanalyse bei Patienten ohne Vorwissen über eine psychosomatische Rehabilitation (n=70).

Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Die Faktorenanalyse ergab eine 3-Faktoren-Lösung mit zehn Items. Die Itemschwierigkeiten lagen im optimalen Wertebereich (0,21–0,77). Die Trennschärfenindizes (0,364–0,683) zeigten gute Ergebnisse. Die Reliabilität konnte bei zwei Faktoren (0,741; 0,803) als gut und bei einem Faktor (0,645) als eher gering bewertet werden. Inhaltlich konnten die drei Skalen als „Wissen”, „Vertrauen” und „Motivation” interpretiert werden. Der Patienten-Fragebogen kann als reliabel und ökonomisch gelten. Durch die prästationäre Beratung konnte die Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation günstig beeinflusst werden. Im Gruppenvergleich verbesserten sich die Patienten mit einer Vorbereitungsmaßnahme signifikant auf allen drei Skalen. Die Patienten ohne Vorwissen zeichnen sich durch bedeutsam weniger Vertrauen und weniger Motivation für die psychosomatische Behandlung aus. Durch eine prästationäre Beratung lässt sich der Zugang zur sta­tionären psychosomatischen Rehabilitation verbessern.

Abstract

Background: The transition from home to psychosomatic rehabilitation is problematic for many patients. They show little treatment motivation because of insufficient information and fear of stigmatization. Pre-treatment seeks to reduce these problems. The patient-questionnaire for stance toward psychosomatic rehabilitation was developed and tested for performance criteria.

Methods: A German statutory pension insurance scheme sample of psychosomatic rehabilitation patients (n=317) were recruited for testing psychosometric attributes and were questioned before and after pre-treatment. To determine whether the questionnaire can show clinically relevant changes, 124 patients with pre-information were compared with 88 patients without intervention. Additionally, clinically relevant changes for patients without knowledge of psychosomatic rehabilitation (n=70) were analyzed.

Results and conclusions: Factor analysis shows a three factor solution with ten items. The discriminatory power was good. High reliability was found for two factors and lower reliability for one factor. The patient-questionnaire for stance toward psychosomatic rehabilitation contains three scales: „knowledge”, „confidence”, and „motivation”, and can be characterized as a reliable and economic instrument. After pre-treatment a general improvement was observed regarding patients’ stance toward psychosomatic rehabilitation. The analyses result in significantly higher mean for patients with pre-treatment. Patients without previous information showed less „confidence” and „motivation”. Pre-treatment can have a positive impact on the stance toward psychosomatic rehabilitation.

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1 Verteilungsunterschiede wurden wegen der unterschiedlich großen Ursprungsgruppe (Interventionsgruppe vs. Kontrollgruppe) anhand von Chi-Testung mit Adjustierung der Erwartungswahrscheinlichkeit überprüft.

Korrespondenzadresse

Dr. Norbert A. Karpinski

Zentrum für Klinische

Psychologie und Rehabilitation Universität Bremen

Grazer Straße 6

28359 Bremen

Email: nkar@uni-bremen.de

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